Meine Arbeitsweise mit Menschen basiert, im Einklang mit neuesten Erkenntnissen aus Hirnforschung, Neurobiologie und Psychologie, auf den hypnosystemischen Konzepten nach Dr. Gunther Schmidt. Dieser Ansatz basiert auf der Hypnotherapie nach Milton Erickson und der Systemischen Familientherapie. Die Hypnotherapie kann beschrieben werden als das systematische, zieldienliche Arbeiten mit unwillkürlichen Prozessen. Im Zentrum der Aufmerksamkeit steht die innere Welt, also wie der Einzelne etwas erlebt und welche Auswirkungen es auf ihn hat. Bei der klassischen Systemischen Familientherapie standen die interaktionellen Prozesse zwischen Individuen und deren Wechselwirkungen und Auswirkungen im Vordergrund.
Die Grundannahme des Konstruktivismus besagt, dass jeder Mensch im Laufe seines Lebens, durch Erfahrungen und Lernprozesse, immer mehr sein eigenes, einzigartiges Bild der Welt formt. Gunther Schmidt hat in diesem Sinne vorgeschlagen, es wäre treffender, von Wahrgebung als von Wahrnehmung zu sprechen, da ein objektives Wahrnehmen der Welt nach diesem Zugang nicht möglich ist (Schmidt, mündliche Aussage im Rahmen eines Seminars, siehe Schmidt (2014,2017). Die Hypnosystemik vereint diese beiden Zugänge.
Die Erlebnisorganisation des Individuums kann beschrieben werden als Wechselspiel zwischen Prozessen der inneren Welt des Erlebens und der sozialen äußeren Welt des interaktionellen Verhaltens, unter besonderer Berücksichtigung des jeweiligen Kontextes (Schmidt (2004, 2011, 2014, 2017)).
Das hypnosystemische Arbeiten nach Gunther Schmidt kann verstanden werden als ein um Augen- und Herzhöhe bemühtes, wertschätzendes Unterstützungsangebot, das darauf abzielt, Informationen und Erfahrungen anzubieten, damit selbstwirksam das eigene Erleben nach den eigenen Vorstellungen und abgestimmt auf das jeweils gewünschte Umfeld gestaltet werden kann. Die Unterstützung suchenden Personen werden dabei ganz klar als Autorität für die eigene Lösung erachtet. Es wird davon ausgegangen, dass die für die Lösung benötigten Kompetenzen bereits im Erfahrungsschatz der jeweiligen Person vorhanden sind und es darum geht, diese zieldienlich zu reaktivieren. (Schmidt (2004, 2014))
Aus hypnosystemischer Sicht wird Erleben erzeugt durch Aufmerksamkeitsfokussierung auf allen Sinnensebenen. Basierend auf dem Hebb´schen Gesetz (cells that fire together wire together and when they wire together they fire together = Zellen die miteinander feuern, vernetzen sich und wenn sie miteinander vernetzt sind, dann feuern sich auch wieder miteinander- (Schmidt (2014,2017)) wird davon ausgegangen, dass die einzelnen Elemente einer emotional geladenen Erfahrung sich zu einem neuro-physiologischen Erlebnisnetzwerk verbinden.
Elemente eines solchen Erlebnisnetzwerks sind beispielsweise: Ort, Zeit, Beteiligte, Beschreibung, Benennung, Erklärung, Bewertung, Schlussfolgerung, Empfindungen, Emotionen, Atmung, Gestik, Mimik, Körperkoordination, Alters-, Größen- und Raumerleben, Innere Dialoge, Erwartungen, Umgang mit sich selbst, Metaphorik, innere Filme, uvm. (Schmidt (2014), Herr (2017)).
Je nachdem, was gerade im Scheinwerfer der Aufmerksamkeit ist, oder anders ausgedrückt, mit welchen Erlebnisnetzwerken man gerade assoziiert und mit welchen man gerade dissoziiert ist, erlebt man sich selbst und die Welt auf unterschiedliche Weise. Die Netzwerke stehen miteinander in zirkulärer Wechselwirkung. Interventionen können erachtet werden als Maßnahmen der Unterschiedsbildung, wobei bei jedem Element eines Netzwerks angesetzt werden kann.
Erlebnisnetzwerke umfassen neben Elementen, die uns bewusst sind und die wir willkürlich steuern können, vor allem auch Elemente, die unwillkürlich und dem Bewusstsein oft (noch) nicht zugänglich sind. Als unwillkürlich wird in diesem Denken alles bezeichnet, was nicht direkt willkürlich gesteuert werden kann, dabei kann es sich um bewusste oder unbewusste Prozesse oder Elemente handeln. Unwillkürliche Prozesse finden vor allem in den entwicklungsgeschichtlich älteren Teilen unseres Gehirns (Stamm- und Zwischenhirn) statt, laufen autonom ab und sind immer schneller und stärker als alles Willentliche. Daher ist ein grundlegendes Ziel im hypnosystemischen Arbeiten, im inneren Erleben eine wertschätzende, achtungsvolle Kooperationsbeziehung zwischen dem bewussten Denken und den unwillkürlichen Prozessen anzuregen. Dabei ist zu beachten, dass das willentlich Bewusste vor allem kognitiv ist und auf Sprache beruht. Unwillkürliches wird jedoch vor allem von Prozessen des Stamm- und Zwischenhirns gesteuert, welches, wenn man so möchte, keine Sprache versteht.
Als Brücke für die Kommunikation zwischen kognitiv Bewusstem und emotional, körperlich Unwillkürlichem können innere Bilder, Metaphern, Symbole, Imaginationen, Rhythmus, Bewegung, Mimik, Gestik, Olfaktorisches, Gustatorisches, Rituale, Tanz, Musik und sonstiges Nonverbales genützt werden. (Schmidt (2004, 2011, 2014, 2017).
Nach Reinhold Bartls Modell des inneren Erlebens hat jeder Mensch drei Wissensquellen oder Instanzen in sich.
Das bewusste „Ich“, das unwillkürliche „Es“ und den Körper. Das bewusste „Ich“ kann beschrieben werden als unser bewusstes Denken, es umfasst unser Bild von uns selbst mit all unseren Stärken, Schwächen, bewussten Wertvorstellungen etc., die „Ich will (aus guten Gründen) Welt“ der Rationalität. Das unwillkürliche „Es“ umfasst die unwillkürlich auftauchenden Gefühle und Regungen, die „Es passiert/fühlt (aus guten Anliegen) Welt“ der Intuition. Die dritte Instanz ist der Körper, welcher von dem führenden Hirnforscher Damasio als die Bühne der Gefühle bezeichnet wurde. Der Körper reagiert auf die Impulse des unwillkürlichen „Es“. (Bartl (2016))
Martina Gross, die das erste hypnosystemische Ausbildungsinstitut in Wien gegründet hat, hat Bartls Modell in einen, die Zeitachse integrierenden, Rahmen gesetzt:
Das Erleben im Hier & Jetzt entsteht durch das Wechselspiel der inneren Welt mit Reizen von außen. Unser Gehirn scannt unaufhörlich die äußere Welt ab und rechnet, basierend auf allen vergangenen Erfahrungen mit Ähnlichkeitswert, eine emotionale Bewertung der aktuellen Situation hoch. Anders ausgedrückt könnte man sagen, aufgrund des Vergleichs der aktuellen Situation mit der Summe der Hochrechnungen vergangener, ähnlicher Situationen entscheidet sich ganz unwillkürlich, welches Erlebnisnetzwerk aktiviert wird. Diese Hochrechnung erfolgt vorbewusst und ist immer auf die gewünschte Zukunft und deren Wahrscheinlichkeit ausgerichtet. Sie liefert uns eine sehr schnelle, unwillkürliche, emotionale Bewertung der aktuellen Situation, die das Erleben im Hier & Jetzt entscheidend beeinflusst. Damasio bezeichnet dieses Signalsystem des Unbewussten als Somatische Marker. Die Bewertung erfolgt nach dem Schema: 1. War gut, wieder aufsuchen oder 2. War nicht so toll, nach Möglichkeit lieber meiden. Gunther Schmidt und auch Maya Storch (zitiert nach Gross (2016)) greifen das Konzept der Somatischen Marker auf als Feedback des eigenen Organismus und Referenz zur Prüfung, ob etwas als stimmig erlebt wird.
Im Optimalfall kooperieren das bewusste „Ich“ und das unwillkürliche „Es“ miteinander in zieldienlicher Weise. Dies führt zu einem Erleben von Stimmigkeit und Balance und dem Gefühl, genau im richtigen Zustand zu sein für die gerade vorhandenen und angestrebten Erfahrungen. (Gross (2016), Schmidt (2014, 2017))
Mechthild Reinhard, die gemeinsam mit Gunther Schmidt die Systelios Klinik für psychosomatische Gesundheitsentwicklung aufgebaut hat, greift in einer ihrer Überlegungen zur inneren Welt das biopsychosoziale Modell (Engel 1977) auf, das den Menschen als biopsychosoziales Gesamtsystem beschreibt.
Dabei steht das Soziale System für die Spielregeln der Familie, der Gesellschaft, der Umwelt, in die wir hineingeboren werden. Diese wandern, wie Mechthild Reinhard es ausdrückt, in uns hinein und werden zu einem Aspekt unserer Selbst. Daneben haben wir unser ureigenes Biologisches System, mit dem wir auf die Welt kommen, und dass es in seiner jeweiligen Einzigartigkeit nur einmal gibt und wir besitzen auch ein Psychologisches System. Aus systemtheoretischer Sicht wird es oft so beschrieben, dass diese 3 Subsysteme (sozial, biologisch, psychologisch) sich in uns drinnen gegenseitig zu Umwelten werden. Die Bedürfnisse, die aufgrund des Sozialen Systems um uns und in uns entstehen und die ureigensten Bedürfnisse unseres biologischen Systems gehen dabei aber nicht immer Hand in Hand. Da kommt das Psychologische System ins Spiel. Auch Mechthild Reinhard sieht es (wie auch in der Systemtheorie nach Fritz Simon) als Bedeutungsgebungssystem, das permanent auszuhandeln hat, was da in einem aufeinandertrifft. Beispielsweise wie wir uns selbst, die soziale Umwelt und die Welt sehen, und wie wir unsere Beziehungen und Rollen in und mit der Welt sehen und wie auf psychologischer Ebene Bedeutung gegeben wird und dies wirkt sich körperlich und emotional aus. Das Psychologisches System besitzt als Einziges die Fähigkeit sich zu trennen/aufzuteilen und spaltet sich ganz unwillkürlich in Anteile, die assoziiert sind mit der Außenwelt, dem Sozialen System und Anteile die assoziiert sind mit den biologischen Bedürfnissen unseres einzigartigen Wesens. Dies ist uns manchmal bewusst, sehr häufig jedoch auch nicht, immer haben wir jedoch mit den körperlichen und emotionalen Auswirkungen umzugehen. Das Biologische System ist, diesem Denken nach, ständig dabei, im begrenzten Raum des eigenen Körpers die eventuellen Widersprüche, die im Psychologischen System, in der eigenen Wahrnehmung/Wahrgebung und Bedeutungsgebung toben, nach Möglichkeit zu balancieren. Im Gegensatz zum Psychologischen ist das Biologische System, nach Mechthild Reinhard, dabei aber nicht in der Lage sich zu trennen oder aufzuspalten. Psychisch können wir uns hin- und hergerissen fühlen durch verschiedene Bedürfnisse und soziale Einflüsse, aber körperlich ist es nicht möglich, dass wir uns aufteilen/gleichzeitig in verschiedene Richtungen laufen. Körperlich haben wir durch die Haut, eine ganz natürliche Grenzbildung zur Außenwelt und innerlich ist unser Körper so organisiert, dass es Zusammenhalt braucht. Im Körper ist alles mit allem permanent in Kommunikation und es gibt auch keine klassische Hierarchie, es ist mehr ein ständiges aufeinander abstimmen und kooperieren.
Häufig drücke der Körper ganz unwillkürlich die innere psychische Widersprüchlichkeit in seiner Körpersprache aus. Daher ist es nach Mechthild Reinhard im Hinblick auf seelisches und körperliches Wohlergehen empfohlen unser Psychisches System so aufzubauen, dass wir Ambivalenz/Widersprüchlichkeit als Grundverfasstheit unseres Menschseins erst einmal anerkennen. Um dann in weiterer Folge ausgehend davon zu forschen welche Zugangsweisen zu mir selbst und zur Äußeren Welt dazu beitragen können, dass wir unsere innere Welt als ganze Welt betrachten können. Als ein zusammenhängendes Geschehen, wo alle Anteile ihren Platz und Ihre Berechtigung haben. (Reinhard (2020))
Je nach Kontext und damit verbundenen Vorstellungen, Erwartungen und Bedürfnissen von uns selbst oder der sozialen Umwelt, werden unterschiedliche neuronale Erlebnisnetzwerke aktiviert, wodurch andere Teil-Ichs/Anteile/Seiten von uns im Vordergrund stehen und, wenn man so möchte, unser Steuer übernehmen. Gunther Schmidt beharrt daher immer wieder bewusst darauf, dass wir, so betrachtet, alle multiple Persönlichkeiten mit vielen Teil-Ichs/Seiten sind. Seiten oder Teil-Ichs können nach dem hypnosystemischen Konzept als Botschafter von Bedürfnissen betrachtet werden. Im Idealfall kooperieren die Seiten miteinander wie die einzelnen Musiker eines Orchesters, tun sie es nicht, führt dies meist zu aufreibendem Problemerleben und Symptomen.
Gunther Schmidt hat das Modell des Ich-Containers vorgeschlagen, um zu veranschaulichen, wie unsere verschiedenen, auf Erfahrungen beruhenden Seiten (=neuronale Netzwerke) und deren Wechselwirkungen unser Erleben formen. In diesem Ich-Container, den wir als uns selbst erleben, befinden sich, aufgrund von Wechselwirkungen der inneren und äußeren Welt, zu jedem Augenblick eines oder mehrere Teil-Ichs oder Seiten (=die gerade aktiven/relevanten neuronalen Netzwerke). Zumeist sind wir mit einem der Teil-Ichs, die sich gerade im Ich-Container befinden, so stark assoziiert, dass wir das Gefühl haben, das sind wir/diese Seite hat Recht. Wir haben Tausende dieser Erlebnisnetzwerke, die sprungbereit darauf warten, aktiviert zu werden und die alle miteinander und mit der äußeren Welt in Wechselwirkung stehen. Die Erlebnisnetzwerke setzen sich, wie bereits erwähnt, zusammen aus bewussten, unwillkürlichen und unbewussten Elementen. Die Diskrepanz zwischen dem bewussten „Ich“ und dem unwillkürlichen „Es“ im Modell von Bartl und der modifizierten Form von Gross (siehe Abschnitt „die Innere Welt“) kann auch verstanden werden als Bedürfnis-/Zielkonflikt zwischen zwei Teil-Ichs/Seiten einer Person. Wobei das bewusste „Ich“ der Seite entspricht, mit der die Person gerade in dem Moment am meisten assoziiert ist (was daran erkennbar ist, dass sie sie oft als im Recht seiend erlebt), man könnte auch sagen, mit der sie sich gerade verwechselt. Das „Es“ stünde dann für eine weitere, sich gerade im Ich-Container befindende Seite, die für bislang eventuell nicht ausreichend berücksichtigte, sich für die aktuelle Situation jedoch ebenfalls relevante Bedürfnisse steht, die sich ganz unwillkürlich, aber oft sehr vehement, melden. Solch ein Bedürfnis-oder Zielkonflikt kann natürlich auch zwischen Bedürfnissen die eher aus dem sozialen System in uns entspringen und Bedürfnissen aus unserem ureigensten biologischen System (wie BioPsychoSozialen Konstrukt von Mechthild Reinhard dargestellt - siehe Abschnitt „die Innere Welt“), auftreten. (Schmidt (2014))
Mechthild Reinhard nimmt zur Darstellung der inneren Welt mit Fokus auf deren viele Teil-Ichs/Seiten/neuronalen Erlebnisnetzwerken auch oft auf das Eisberg-Modell zur Hilfe. (Das Eisberg-Modell soll ursprünglich von Freud stammen. Die Eisbergmetapher soll veranschaulichen, dass nur ein kleiner Teil erkennbar ist, während ein deutlich umfangreicherer Teil unter der Wasseroberfläche verborgen bleibt.)
Sie beschreibt damit, dass nur etwa 1/7 unserer inneren Prozesse von uns gestaltbar sind, bewusster sind, sodass wir das Gefühl haben, wir können Einfluss darauf nehmen. Die große Mehrheit, 6/7 unserer inneren Prozesse jedoch unwillkürlich in uns herumwabern und ablaufen und auch Auswirkungen auf unseren Organismus haben, jedoch nicht direkt von uns gestaltbar sind. Je nach Situation und Einflüssen von außen und damit verbunden Vorstellungen, Erwartungen und Bedürfnissen werden andere Seiten oder Erlebnisnetzwerke in uns aufgerufen. Je nach Kontext und was auf uns einströmt werden wir also zu jemand anderem. Dies kann uns auch gänzlich oder teilweise bewusst werden, es kann aber auch sein, dass es unwillkürlich abläuft. Soweit ist das Modell von Mechthild Reinhard, die seit vielen Jahren eng mit Gunther Schmidt zusammenarbeitet und seine Konzepte übernommen hat, seinem Modell des Ich-Containers sehr ähnlich. Sie geht jedoch zusätzlich davon aus, dass es neben dem kleinen Teilbereich der gestaltbaren Prozesse und dem großen Teilbereich der unwillkürlich ablaufenden Prozesse in uns auch - noch tiefer, wenn man so möchte - einen heilen Kern gibt. Sie meint, dass könne sie nicht beweisen, das sei nicht überprüfbar, es sei viel mehr ein Glaubensakt, aber sie gehe davon aus, dass jeder Mensch diesen heilen Kern besitze. Ein Bereich, der, egal was einem Menschen vielleicht widerfährt, nie beschädigt, beschmutzt oder zerstört werden könne. (Reinhard (2020))
Eine zentrale Grundannahme des hypnosystemischen Modells ist es, dass es nie der Inhalt einer Erfahrung ist, der den Einfluss auf das Erleben bedingt, sondern immer die Beziehungsgestaltung zu diesem Inhalt. Das heißt, wie assoziiert oder dissoziiert mit etwas, wie überflutet von etwas oder in gut geschützter Position mit Abstand, Überblick und Handlungsfähigkeit ich mich erlebe.
Daher ist ein wichtiger Schritt in der hypnosystemischen Arbeit, zum Aufbau einer Steuerposition für das eigene innere Erleben einzuladen und anzuregen. Diese soll mit dem Erleben von Sicherheit, Überblick und Handlungsfähigkeit einhergehen. Sie hat die Aufgabe, die Selbstorganisation der gerade aktivierten Teil-Ichs/Seiten/neuronalen Erlebnisnetzwerke im Auge zu behalten und darauf zu achten, was notwendig ist, damit eine wertschätzende Kooperation und jeweils stimmige Balance zwischen diesen entstehen kann. (Bartl (2016), Gross (2016), Schmidt (2014))
Mechthild Reinhard spricht in ihren Darstellungen der inneren Welt mit all ihren Anteilen/Seiten/Erlebnisnetzwerken immer davon, dass es entscheidend ist, eine Beobachterposition einzunehmen und sich aufzuspannen.
Sie geht davon aus, dass Menschen in ihrem inneren Erleben grundsätzlich ambivalent sind, dass also so gut wie immer zumindest zwei, zumindest teilweise widersprüchliche Seiten/Anteile/Erlebnisnetzwerke in uns aktiv sind. Sie drückt es oft so aus: “Eine Seite sagt „Hü“ und eine Seite sagt „Hott““ (Reinhard (2018)). Dies muss jedoch nicht als problematisch gesehen werden, es gehe nur darum, wie man damit umgehe. Sie wirbt dafür, sich vertikal aufzuspannen, also mit der Beobachterposition so weit in Abstand zu gehen, dass man alles gut im Blick hat, um in hilfreicher Weise mit der eigenen Widersprüchlichkeit umgehen zu können. Und auch zu lernen, diese zu nützen. Die diesbezüglichen Erfolgschancen steigen, wenn man es schafft, wohlwollend mit sich selbst umzugehen. Je nach Situation und Umständen kann es jedoch sehr schnell passieren, dass es zwar gelingt, eine Beobachterposition aufzubauen, diese aber mit sehr strengem und/oder selektivem Blick auf sich selbst schaut. Daher schlägt sie vor, der Beobachterposition eine weitere liebevolle Beobachterinstanz zur Seite zu stellen, die wohlwollend beobachtet, wie von der ersten Beobachterposition gerade auf das eigene Selbst und die Welt geschaut wird. Auch das Wissen um den eigenen heilen Kern, den in ihrem Denken jeder Mensch in sich hat und den sie sich unantastbar und unzerstörbar vorstellt, kann dabei hilfreich sein. Er stellt eine gewisse Referenz dar, ein grundlegendes Wissen in uns darüber, wie es gut ist. Symptome könnten nach diesem Denken auch verstanden werden als Hinweise darauf, dass es dieses Wissen in uns geben muss, denn ohne einen Sollwert ist es gar nicht möglich, ein Problem zu erleben. Diese ganze innere Welt, dieses jeweils einzigartige Universum, das jeder Mensch ist, stellt sie sich umgeben von einer halbdurchlässigen Grenze vor, die sowohl Abgrenzung als auch Verbundenheit ermöglicht. (Reinhard (2019))
Loyalität gegenüber mir wichtigen Bedürfnissen anderer
vs Loyalität gegenüber meinen ureigensten Bedürfnissen
Gerald Hüther (zitiert nach Gross, 2016), ein führender Hirnforscher, postuliert, dass der Mensch schon vor der Geburt zwei wesentliche Dinge lernt. Einerseits gut verbunden zu sein mit der eigenen Mutter (Bindungsbedürfnis) und andererseits über sich selbst hinauswachsen zu können, sich selbst verwirklichen zu können (Autonomiebedürfnis).
Nach Helm Stierlin (zitiert nach Schmidt, 2014), einer der Gründerfiguren der Systemischen Familientherapie in Heidelberg, ist dies das Grundthema, das jeden Menschen sein Leben lang begleitet. Er hat den Begriff der Bezogenen Individuation geprägt, der ausdrücken soll, dass es, abgestimmt auf den jeweiligen Kontext, immer um das Finden der stimmigen Balance zwischen „gut verbunden sein mit, für mich relevanten, anderen“ (Zugehörigkeits-Bedürfnis) und „gut bei mir selbst sein“ (Autonomie-Bedürfnis) geht.
Im Optimalfall besteht also ein, für den Moment als stimmig erlebtes, „Sowohl als auch“ der unterschiedlichen, für den aktuellen Kontext relevanten, (Grund-)Bedürfnissen einer Person, die sich durch unterschiedliche Teil-Ichs bemerkbar machen. (Schmidt (2014))
Auch in den Konzepten von Mechthild Reinhard spielt das Thema Zugehörigkeit versus Autonomie eine große Rolle. Sie greift oft auf die von Klaus Mücke (zitiert nach Mechthild Reinhard (2020)) geprägten Begriffe „Loyalität gegenüber mir wichtigen Bedürfnissen anderer/ der Umwelt“ und „Loyalität gegenüber meinen ureigensten Bedürfnissen“ zurück. In ihrem Modell der Grundbedürfnisse lebender Systeme hat sie das Grundthema Zugehörigkeit versus Autonomie um die in der Hypnosystemik hervorgehobene Unterscheidung zwischen bewusst und unwillkürlich erweitert. Sie spricht in diesem Modell, nicht zuletzt aufgrund ihres biografischen Hintergrunds (in der DDR aufgewachsen, viel soziale Kontrolle von außen erfahren, bereits als Kind immer wieder verhört worden), nicht nur von Anpassung, Loyalitätsbedürfnis, Veranwortung und Ordnung, sondern auch von Kontrolle.
Das Modell setzt sich aus 4 Quadranten zusammen.
Die Unterschiedsbildung willkürlich, also bewusst gestaltbar (obere zwei Quadranten), versus unwillkürlich, entzieht sich unserer direkten Gestaltungsmöglichkeit, ist uns nicht verfügbar (untere zwei Quadranten). Sowie die Unterschiedsbildung Angepasstheit/Loyalität/Kontrolle (rechts-oben und rechts-unten) bei der es Einflüsse von Außen/der Äußeren Welt gibt versus Autonomie und ureigenste Selbstbestimmtheit (link-oben und links-unten) mit Einflüssen von Innen/der Inneren Welt.
Damit entsteht links oben das Grundbedürfnis der „willkürlich, also bewusst gestaltbaren Kontrolle“, womit Angepasstheit, Loyalität gegenüber anderen und der Umwelt sowie Verantwortung gemeint sind. Links unten im Bereich der unwillkürlichen Kontrolle steht das Bedürfnis nach Ordnung und Rhythmus, das Streben nach einem Gefühl von „Ich bin zugehörig und ich und mein Organismus sind dabei in Ordnung und schwingen im passenden Rhythmus“. Rechts oben findet sich der Bereich der willkürlichen, also bewusst gestaltbaren Autonomie und das Bedürfnis nach Entwicklung von eigenem Sinnerleben und Selbstbestimmtheit. Rechts unten entsteht der Bereich der unwillkürlichen Autonomie, wo es um das unwillkürliche Streben nach Lebendigkeit und Bewegung im Sinne von „Es will in mir ganz unwillkürlich“ geht. Dies ist auch der Bereich in/aus dem, im Denken von Mechthild Reinhard, im Sinne der Autopoiese lebende Systeme ihre Energie beziehen. (Der Begriff der Autopoiese geht auf Maturana und Varela (1984) zurück und bezeichnet den Prozess der Selbsterzeugung, Selbstorganisation und Selbstregulation lebender Systeme.) Die Bereiche der willkürlichen Kontrolle und Loyalität (links oben) und unwillkürlichen Autonomie und Bewegung (rechts unten) umgibt sie mit einer halbdurchlässigen Grenze, um auszudrücken, dass hier Bezogenheit gewünscht ist. Im bewusst gestaltbaren Bereich der willkürlichen Kontrolle und Anpassung Bezogenheit auf die äußere soziale Welt. Im Bereich der unwillkürlichen Autonomie und Bewegung im Sinne von Verbundenheit mit dem Leben und der Lebendigkeit an sich. Bei den anderen beiden Bereichen, der unwillkürlichen Kontrolle, wo es um unwillkürliche Ordnungen und Rhythmen im Zusammenhang mit dem Zugehörigkeitsbedürfnis in uns geht (links unten) und der willkürliche Autonomie (rechts oben), wo es um die eigene Sinnentwicklung und Selbstbestimmtheit geht, plädiert sie jedoch für eine klare Grenzbildung nach außen, damit nichts (weiteres) reinkommen kann, was diese Bereiche ungewünscht verstören könnte. Sie setzt dieses Modell auch für Selbstcoaching-Prozesse ein.
Ziel wäre, ein Gefühl für die aktuellen Zustände und Bedürfnislagen in den verschiedenen Bereichen im Auge zu behalten und im Bezug auf diese schwingungsfähig zu bleiben. Sich gut einzuschwingen, um eine, für den jeweiligen Moment und die jeweilige Situation, stimmige Balance zwischen den verschiedenen Bereichen finden zu können. Dies deutet sie durch die verbindenden geschwungenen Bahnen an. (Reinhard (2017))
Wie bereits erwähnt (siehe „Erleben & Aufmerksamkeitsfokus) wird durch die Ausrichtung des Fokus unserer Aufmerksamkeit unser Erleben von Sekunde zu Sekunde neu erzeugt, und damit auch, wie wir uns selbst erleben.
Nach Gunther Schmidt braucht es, um ein Problem erleben zu können, zwei Schritte. Erstens muss eine Diskrepanz / ein unerwünschter Unterschied zwischen aktuellem Ist-Zustand und gewünschtem Soll-Zustand erlebt werden. Zweitens müssen Lösungsversuche unternommen worden sein, um diesen ungewünschten Unterschied zwischen Ist und Soll aufzuheben, die jedoch weitgehend gescheitert sind. Für eine Veränderung dieser unerwünschten Situation ist ein erster hilfreicher und wichtiger Schritt der Aufbau einer Beobachter-Steuerposition. Dies ist eine Position, von der aus die erlebende Person ihr Problem mit ausreichend Abstand betrachten kann, um einen guten Überblick und das Erleben von Handlungsfähigkeit zu haben.
Dafür ist das ganze Wissen der vorangegangenen Kapitel hilfreich. Von dieser Position aus wird in einem weiteren Schritt geforscht, wie in jeweils zieldienlicher Weise eine Assoziation mit dem Lösungserleben, sowie eine Dissoziation mit dem Problemerleben hergestellt werden können. Dabei ist es auch wichtig, auf eine optimale Abstimmung der Auswirkungen, die sich aus diesen möglichen Veränderungen in der inneren und äußeren Welt und deren Wechselwirkung ergeben können, zu achten. (Schmidt (2014))
Mechthild Reinhard stellt die Entstehung von Symptomen oft anhand ihrer sogenannten Systemischen Ursuppe dar, einem anschaulichen Modell zur Systemtheorie und darüber, wie lebende Systeme aus ihrer Sicht ticken.
Dazu legt sie einen leuchtenden Fußball auf den Boden, der das Wofür darstellen soll. Denn lebende Systeme brauchen, ihrem Modell nach, ein sinnstiftendes faszinierendes Wofür, nach dem sie streben. Sonst könne das lebende System gar nicht ins Leben kommen und bleibe nicht am Leben. Um diesen Fußball herum legt sie ein Seil, um zu symbolisieren, dass jedes lebende System eine Grenze braucht, um eine Unterscheidung zwischen Innen und Außen treffen zu können. Diese stellt sie sich halbdurchlässig vor und als nicht an sich bestehend, sondern abhängig vom Beobachter, der sie (aufgrund seiner eigenen Wahrgebung) zieht. Zudem würden zwei ganz einfache Prozesse permanent laufen in lebenden Systemen. Um diese zu symbolisieren setzt sie in den, durch das Seil entstandenen, Innenraum zwei Spielzeugfiguren. Eine macht gekonnt akrobatische Saltos und symbolisiert den ersten Prozess des „bereits Gelingenden“. Nach Gunther Schmidt könnte man sagen „Muster des Gelingens“. Alles was bereits gut läuft, erzeugt immer mehr desselben. Systemtheoretisch gesprochen entsteht Ordnung aus Ordnung. Die zweite Figur bewegt sich schleppend, hinkend fort. Sie symbolisiert den zweiten grundlegenden Prozess, der in jedem lebenden System permanent abläuft: etwas, das nicht gelingt, irgendwie stört, wo etwas noch nicht so in Ordnung ist. Auch dies läuft permanent in uns ab, systemtheoretisch gesprochen braucht jedes System etwas wie aus Unordnung Ordnung entsteht. Abschließend setzt sie noch eine balancierende Vogelfigur auf eine erhabene Position. Diese soll die Beobachterposition symbolisieren, die es braucht, um zu beobachten, was da abläuft. Zusätzlich stellt sie manchmal noch eine kleine Figur mit zwei Seiten dazu um das Dilemma, die Zwickmühle zu symbolisieren. Denn oft haben wir, bewusst oder unbewusst, eine Zwickmühle zwischen zwei oder mehreren sich widersprechenden Bedürfnissen/zwei oder mehreren gegenläufigen Wofürs. Ein häufiger Lösungsversuch ist es, zu versuchen, das „noch nicht Gelingende“/ Unerwünschte auszuschließen/ wegzumachen. Dies führt jedoch häufig dazu, dass von Innen und Außen noch mehr Aufmerksamkeit in kontraproduktiver Weise darauf gerichtet wird. Mechthild Reinhard geht davon aus (siehe auch Kapitel „Die innere Welt“), dass bei massiven Zwickmühlen in dem begrenzten, selbstorganisierten Raum eines lebenden Systems der Organismus anfängt, kreative Lösungen zu suchen. Häufig entstehe genau an der Grenze/Schnittstelle der beiden gegenläufigen Bedürfnisse ein Symptom.
Der erste wichtige Schritt, um aus dieser Zwickmühle oder Pattsituation wieder in eine gewünschtere Richtung zu kommen, liegt darin, eine bestimmte Art der Beobachtung und Haltung sich selbst gegenüber einzunehmen: Zu versuchen, wohlwollend und neugierig auf sich selbst und das bereits Gelingende und nicht Gelingende zu schauen. Zu hinterfragen, was für einen selbst denn gerade in welcher Form sinnstiftend wirkt, und welche Zwickmühlen/Konflikte zwischen unterschiedlichen Bedürfnissen dabei vielleicht eine Rolle spielen könnten. Zu forschen, welche Bedingungen die Wahrscheinlichkeit für das gewünschte Erleben/Verhalten/Phänomen eher erhöhen und welche dieser vielleicht eher abträglich sind und was dann vielleicht auftaucht. Hypnosystemisch gesprochen geht es hier um das Utilisationsprinzip. Symptome zu betrachten als wertvolle Information und Rückmeldung über vielleicht noch nicht ausreichend berücksichtigte Bedürfnisse oder Bedingungen. Mechthild Reinhard greift hier oft auf die Metapher zurück, die auch Gunther Schmidt gerne verwendet: Das Symptom/Problem-Erleben als Warnleuchte des Signalsystems unseres Körpers und die Analogie zu einem roten Lämpchen, das beispielsweise einen Ölmangel beim Auto anzeigt. Wenn beim Auto ein wichtiges Warnlämpchen aufleuchtet, kümmern sich die allermeisten Menschen sofort um das dadurch aufgezeigte Problem. Denn das Risiko, das Auto könnte nicht mehr fahren und/oder eine teure Reparatur könnte durch das Übergehen verursacht werden, möchte so gut wie niemand eingehen. Wenn bei unserem Körper Warnleuchten auftauchen, wie Müdigkeit, Anspannung, Schmerzen, ist die Tendenz viel höher, diese zu übergehen. (Reinhard (2017))
Im Fall von Problem-Erleben und Symptomen besteht zumeist eine Grundhaltung von „Entweder - oder“ und die verschiedenen Wofürs stehen eher in einer Kampfbeziehung zueinander, anstatt nach einer stimmigen Form der Koexistenz, Balance und Kooperation zu streben. (Gross (2016), Schmidt (2014), Reinhard (2017))
Nach diesem Modell wird eher dazu eingeladen, die unerwünschten Phänomene aufzugreifen und die darin enthaltene Information zu nützen. Zu forschen, was es bei bleibender Co-Existenz der unterschiedlichen Bedürfnislagen/Seiten in uns braucht für ein jeweils stimmiges Sowohl-als-auch. (Reinhard (2017))
Es ist eine wichtige hypnosystemische Grundannahme (Schmidt (2014)), dass Erleben erzeugt wird durch Aufmerksamkeitsfokussierung und daher ein objektives Wahrnehmen der Welt gar nicht möglich ist (siehe auch Kapitel „Erleben und Aufmerksamkeitsfokus“).
Nach Mechthild Reinhard gibt es zwei grundlegende Bezugssysteme/Zugänge, für die Sicht auf die Welt und Menschen, zwischen denen wir in unserem Alltag immer wieder hin und her pendeln.
Einerseits das Bezugssystem der Welt, welches in unseren westlichen Kulturen aktuell vorherrschend ist. Andererseits das Bezugssystem des Paradieses, das aktuell immer mehr zurückgedrängt und vergessen wird. Die Bezeichnung „des Paradieses“ ist in Anlehnung an das Grundwerk zur Autopoiese von Humberto Maturana und Francisco Varela zu verstehen. (In ihrem Buch „Der Baum der Erkenntnis“ (erschienen 1984) haben die beiden Neurobiologen Humberto Maturana und Francisco Varela das Konzept der Autopoiese dargelegt. Autopoiese besagt, dass sich lebende Systeme immer selbst erzeugen, organisieren und regulieren. Dieses Konzept nimmt uns alle in die Mitverantwortung im Hinblick auf den Zustand und unser Erleben der Welt, da es uns daran erinnert, dass wir Einfluss darauf haben, wie wir die Welt wahrnehmen und gestalten. Der Titel „Baum der Erkenntnis“ bezieht sich auf die Geschichte des Sündenfalls in der Bibel. Im Sinne der Autoren bedeutet das Erlangen der Erkenntnis jedoch nicht die Vertreibung aus dem Paradies, sondern das Bewusstwerden über die eigene Mitgestaltungsfähigkeit, wodurch eine ganz anderer Zugang entstehen kann.)
"Bezugssystem der Welt" steht für eine Betrachtungsweise und einen Kontext/Umgebungsbedingungen, in denen davon ausgegangen wird, dass es eine objektive Welt gibt, die messbar ist und abgebildet werden kann. Wo wir glauben, dass das, was wir sehen, so ist. Die Analogie „Mensch als Maschine“ passt auf diese Seite. Das Bezugssystem des Paradieses hingegen betont die Rolle der subjektiven Wahrnehmung und Bedeutungsgebung beim Erleben der Welt. Wo etwas in uns wie von einer anderen Welt kommend eine nicht greifbare Ahnung davon behält, wo wir herkommen, wo wir hinwollen, was der Sinn des Lebens ist. Denn die Welt, so wie sie ein Mensch sieht, gibt es nicht doppelt, es kann sie nur jeder Mensch für sich konstruieren und durch den Austausch mit anderen können intersubjektive Verständnisräume entstehen.
Beide Bezugssysteme haben ihre Berechtigung. Wenn es um tote Systeme wie Gegenstände, oder Maschinen wie Autos oder Flugzeuge geht, ist es wichtig, überprüfbar und genau wissen zu können, dass zB. das Flugzeug einwandfrei flugtauglich ist. Wenn es jedoch um das Erleben, Verhalten und die Bedürfnisse von lebenden Systemen wie Menschen geht, braucht es einen anderen Bezugsrahmen.
Nach Mechthild Reinhard haben wir als Menschen permanent die Aufgabe, diese beiden Welten in uns zu balancieren. Hier findet sich wieder der menschliche Grundkonflikt zwischen „Loyalität mit den Bedürfnissen der Äußeren Welt“ versus „Loyalität mit den ureigensten Bedürfnissen“. Alle Symptome sind für sie, vom Grundmuster her, immer Ausdruck des Versuchs/des Ringens darum, diese beiden Welten zusammenzubringen.
Die Lösung sieht sie darin, in sich eine allparteiliche Beobachterposition aufzubauen, die möglichst neutral ein Auge darauf hat, in welchen Kontexten man gerade unterwegs ist, wie es einem selbst und dem eigenen Organismus dabei geht und was es brauchen könnte, um alle mitschwingenden Anforderungen und Bedürfnisse möglichst stimmig balancieren zu können. Zudem ist es ihrer Meinung nach für uns in der heutigen abendländischen Gesellschaft Zeit, sich bewusst zu entscheiden, wo man den eigenen Bezugspunkt wählt. Ihre klare Empfehlung diesbezüglich ist es, sich dafür zu entscheiden, das Herz auf der Seite des Paradieses schlagen zu lassen und darauf zu achten - bei bleibender Schwingungsfähigkeit auch in den Bereich des Bezugssystems der Welt, denn das gehört auch zu unserem Alltag - das Zentrum auf diesem Punkt zu halten oder zumindest immer wieder schnell dorthin zurückkommen zu können. (Reinhard (2018))
Menschen investieren oft sehr viel Kraft, um unerwünschte Situationen/Erlebensprozesse/Phänomene zu verändern. Misslingen diese Versuche jedoch wiederholt und scheint das Unerwünschte unveränderbar, kann es schnell passieren, dass man sich als Opfer erlebt und/oder beginnt, sich selbst als inkompetent abzuwerten. Dies bindet jedoch sehr viel Kraft und die übrig gebliebenen Gestaltungsmöglichkeiten können oft nicht optimal genützt werden.
Um dem vorzubeugen, schlägt Gunther Schmidt (2014) in seinem Restriktionsmodell vor, Situationen/Erlebensprozesse/Phänomene als aktuell bestehende, momentan unveränderbare Restriktionen zu behandeln. Um in solchen Situationen wieder ein Erleben von Kompetenz und Erfolgsmöglichkeiten erreichen zu können, braucht es einerseits Würdigung des Krafteinsatzes für das ersehnte Ziel und andererseits Aufbau von Zielen, die auch im Moment eigenständig erreicht werden können. Daher lädt er im Gegensatz zu vielen anderen Konzepten, in denen manchmal die Rede davon ist man müsse sich etwas „abschminken“ oder sich „mit etwas abfinden“, dazu ein, dass der Wunsch, das Ersehnte zu erreichen, als Sehnsuchtsziel bestehen bleiben darf. Gleichzeitig wirbt er dafür, an, gemessen am Sehnsuchtsziel, 2. besten Zielen zu arbeiten. Diese drehen sich darum, den Umgang mit der aktuellen Situation zu optimieren und eventuell die Wahrscheinlichkeit für die Erreichung der Sehnsuchtsziels zu erhöhen. Durch dieses Vorgehen kann die Sehnsucht und der Krafteinsatz der Menschen gewürdigt werden und gleichzeitig Kräfte mobilisiert werden, um die verbleibenden Einfluss- und Gestaltungsmöglichkeiten optimal zu nützen. (Schmidt (2014))
Gunther Schmidt wird nicht müde zu betonen, dass niemand, auch nicht durch die Wiederholung vielleicht unerwünschter Verhaltens- oder Erlebensweisen, auf einen Zustand zurückfallen kann, ohne dass in der Zeit dazwischen neue Erlebnis- und Verhaltens- und Umgangsweisen erprobt und gelebt wurden. Er schlägt deshalb vor, treffender und mit Fokus auf Kompetenzen stattdessen von "Ehrenrunden" in die unerwünschten Verhaltens- Erlebens- und/oder Umgangsweisen zu sprechen. (Schmidt 2014, 2017)
Andreas Kollar (2018), der sich sehr intensiv mit den Konzepten von Gunther Schmidt auseinandersetzt und diese strukturiert vermittelt, hat die Möglichkeiten, die das Auftreten von Ehrenrunden aus hypnosystemischer Sicht wahrscheinlicher machen, zusammengefasst:
Ein erster wichtiger Bereich ist die Motivation, welche unterteilt werden kann in intrinsische und extrinsische Motivation. Intrinsische Motivation bedeutet, dass die Motivation aus der Sache an sich kommt. Wenn diese nicht ausreichend vorhanden ist, beispielsweise das anvisierte Ziel in der Person nicht ausreichend das Interesse/die Sehnsucht weckt, dieses zu erreichen, kann es zu einer Ehrenrunde kommen. Extrinsische Motivation bedeutet, dass diese durch erwünschte Vergütung aus dem Außen entsteht. Wenn jedoch die erwartete Vergütung in dem Moment nicht ausreichend Ambivalenz in der Person erzeugen kann. Also nicht ausreichend anziehend/verheißungsvoll wirkt, um die Person innerlich zumindest in einen Bedürfniskonflikt/ein Dilemma zwischen der Vergütung und dem ursprünglich Konsumierten bringen kann, erhöht dies die Wahrscheinlichkeit für eine Ehrenrunde. Weiters kommt auch den Bedürfnissen nach Loyalität und Zugehörigkeit einerseits und Autonomie andererseits eine wichtige Rolle zu. Hinsichtlich des Bedürfnisses nach Loyalität kann sich die Wahrscheinlichkeit für eine Ehrenrunde erhöhen, wenn zu viel auf andere geschaut wird, oder wenn die anderen perfektionistische Erwartungen an die betroffene Person stellen. Bezüglich des Bedürfnisses nach Autonomie steigt die Wahrscheinlichkeit für das Eintreten einer Ehrenrunde, wenn Spielerisches, Lustvolles, Leichtes zu wenig Platz im Leben bekommen, oder wenn perfektionistische Erwartungen an sich selbst gestellt werden. (Kollar (2018))
Basierend auf den Ausarbeitungen und Überlegungen von Andreas Kollar (2019) zu den hypnosystemischen Konzepten von Gunther Schmidt, möchte ich den Zielfokus im hypnosystemischen Arbeiten wie folgt darstellen:
Wie bereits in den vorangegangenen Kapiteln ausgeführt, geht man bei der hypnosystemischen Definition eines Problems/ bezüglich Symptomentstehung davon aus, dass es eine Diskrepanz, also eine ungewünschte Differenz zwischen zwei Teilpersönlichkeiten/Seiten/Bedürfnissen einer Person gibt, die zu dem unerwünschten Verhalten/Erleben/Phänomen führt. Daher wird im hypnosystemischen Arbeiten sehr dafür geworben, im inneren Erleben eine wertschätzende, achtungsvolle Kooperationsbeziehung zwischen dem bewussten Denken („Ich will“) und den unwillkürlichen Prozessen („Es passiert „) anzuregen. Man könnte sagen, im Fall von Problem-/Symptomerleben gestaltet sich die Beziehung zwischen diesen beiden Bereichen in uns oft im Sinne von: „ICH will ja, ABER es geht/es passiert trotzdem". Die angestrebte achtungsvolle Kooperation zwischen den beiden Bereichen wäre im Unterschied dazu: „ICH will, UND es passiert/ ICH will nicht UND es passiert auch nicht“. (nach Kollar (2019))
Andreas Kollar hat aus den Konzepten von Gunther Schmidt 5 Schlüsselgewohnheiten herausgearbeitet, die für den Aufbau und Erhalt einer Kooperationsbeziehung zwischen den verschiedenen Bereichen der inneren Welt sehr hilfreich sind. Die erste betrifft die Erhöhung von Wahlfreiheit. Damit ist gemeint, dass ein wichtiger Fokus darauf abzielt, im Umgang mit dem Problemerleben wieder mehr Wahlfreiheit und Einflussmöglichkeit zu erleben und sich im Bezug darauf nicht hilflos und ausgeliefert zu fühlen. Um dahin zu kommen, ist es sehr hilfreich zu lernen, eine geschützte innere Steuerposition mit Überblick und Handlungsfähigkeit aufzubauen und diese immer wieder bewusst einzunehmen. Um die für einen selbst und stimmige Steuerposition aufbauen zu können, ist es lohnend, das Feedback des eigenen Körpers/Organismus als Referenz zu nützen. Die Rückmeldungen des Organismus, ob in erwünschter oder unerwünschter Form, werden im hypnosystemischen Modell als wichtige Informationen über zu berücksichtigende Bedürfnisse verstanden, die man zieldienlich nützen kann. Diese Steuerposition, die wie ein wohlwollender Dirigent fungieren kann, ist auch der erste wichtige Schritt im Bemühen um eine konstruktive Dynamik zwischen den inneren Seiten, die man sich in dieser Metapher wie die einzelnen Musiker im Orchester vorstellen kann. Schließlich hilft das Einnehmen einer inneren Metaposition mit schützendem, Überblick erlaubendem Abstand auch dabei, auf die Balance in der Beziehungsgestaltung im Außen/in Wechselwirkung mit dem Außen zu achten. Damit ist gemeint, im Kontakt mit außen die Dimensionen Oben-Unten/Augenhöhe und Nähe/Distanz und die damit jeweils verbunden Auswirkungen bewusst im Blick zu behalten und zu berücksichtigen. (Kollar (2019))
Natürlich können die Modelle der Selbstorganisation des eigenen inneren Erlebens mit seiner Wechselwirkung mit der Außenwelt und seinen Zwickmühlen auch auf die Prozesse innerhalb eines Paares, einer Gruppe oder Gemeinschaft umgelegt werden.
Aufbauend auf das grundlegende hypnosystemische Modell zur Steuerposition von Gunther Schmidt, hat Mechthild Reinhard ihr Modell der Inneren Vielseitigkeit, Ambivalenz und Möglichkeit, sich aufzuspannen, für die Betrachtung des Individuums entwickelt. Sowie dieses erweiternd ihr Modell der wertschätzenden Kommunikation von Beobachter zu Beobachter für die Beschreibung der wertschätzenden zwischenmenschlichen Begegnung. Im Modell der eigenen Vielseitigkeit, Ambivalenz und Möglichkeit, sich aufzuspannen, beschreibt sie uns Menschen als einzigartige Universen mit vielen verschiedenen Anteilen oder Seiten auf bewusster und unwillkürlichen Ebene, einem unzerstörbaren, heilen Kern und der Fähigkeit, sich aufzuspannen, um durch das Einnehmen einer Beobachterposition das eigene Innenleben zu beobachten und zu reflektieren. (Für eine ausführlichere Beschreibung siehe im Kapitel „Umgang mit Widersprüchen“ das Unterkapitel „Aufbau einer hilfreichen Steuerposition“.)
Das Modell der wertschätzenden Kommunikation von Beobachter zu Beobachter greift diese Sicht des Einzelnen auf und beschreibt, wie zwei Personen sich als jeweilige Beobachter ihrer eigenen Welt miteinander unterhalten könnten.
Der wichtige Punkt, damit Kommunikation wertschätzend und achtungsvoll wird, ist, dass die Personen sich im Klaren darüber sind, nicht wissen zu können, wie genau ihr Gegenüber die Welt und das aktuelle Gespräch erlebt und neugierig auf die jeweilige Sichtweise des Gegenübers zu bleiben. Dadurch berichtet jeder als Beobachter seines eigenen einzigartigen Universums über das eigene Erleben und welche Auswirkungen die aktuelle Begegnung darauf hat und fragt abschließend, wie diese Beschreibung nun wieder auf das Gegenüber wirkt. So kann ein Zwischenraum entstehen, eine ausgehandelte Zone, wo man sich begegnen, etwas von sich preisgeben und sich austauschen kann, und trotzdem die eigenen Grenzen gewahrt bleiben. Wenn es um Kooperation geht, dann kann in diesem gemeinsamen Zwischenraum das Wofür in der Mitte stehen, für das die beiden in Kooperation gehen möchten/sollen und auf das sie sich in ihrem Austausch beziehen. (Reinhard (2017))
Dieses Wofür in der Mitte, dieses Aufladen der Mitte ist noch wichtiger, wenn es um wertschätzende Kommunikation und Kooperation bei eventuell bleibenden Unterschieden in einer Gruppe geht.
Dies ermöglicht eine klare Fokussierung auf das gemeinsame Wofür/ das gemeinsame Ziel/ das gemeinsame Thema und der Austausch der einzigartigen Personen untereinander erfolgt immer im Bezug darauf. Es wird in sich hineingehorcht und den anderen berichtet, was das jeweilige Wofür und der gerade stattfindende Austausch darüber in der eigenen inneren Welt für Wirkungen hat. Was vielleicht die Neugier weckt, was vielleicht vor den Kopf stößt, was vielleicht Assoziationen zu anderen Themen/Aspekten aufruft, welche Auswirkungen es auf das körperliche Befinden hat.
Damit verbunden erfolgt die Rückfrage, wie dieser Bericht aus der eigenen Welt wieder auf die anderen Beteiligten wirkt.
So können sich alle Teilnehmenden mit ihren eigenen einzigartigen Innenwelten, in Bezug auf das gemeinsame Wofür, miteinander vernetzen und es entsteht das Erleben, als Gruppe/als Team in einem gemeinsamen Gesprächsraum zu sein, in dem sowohl die Balance zwischen Zugehörigkeit und Autonomie, als auch der Zielbezug berücksichtigt bleibt. So wird wertschätzende Kommunikation und Kooperation, bei bleibender Unterschiedlichkeit, möglich. (Reinhard (2017))
Durch die Polyvagaltheorie zeigt Steven Porges auf, dass das unwillkürliche Erleben von Sicherheit, sich also gut geerdet und gut aufgehoben zu fühlen, essentiell ist für gelingendes Sozialverhalten, physiologische/körperliche Selbstregulation, Heilung und auch Aufnahmefähigkeit, Lernfähigkeit und Kreativität.
Damit betont die Polyvagaltheorie noch einmal, wie wichtig es ist, neben der Person selbst auch den aktuellen Kontext, d.h. ihre aktuelle Umgebung mit allem, was an Menschen, Gegebenheiten und Umständen dazugehört und wie all dies auf die Person wirkt, zu berücksichtigen. Mit Fokus darauf, wie die Wechselwirkungen zwischen Innerer und Äußerer Welt das eigene Erleben beeinflussen. Verbunden mit der Anleitung zum Aufbau einer Sicherheit vermittelnden Steuerposition, um gut damit umgehen zu können, werden diese Erkenntnisse im hypnosystemischen Arbeiten optimal berücksichtigt.
Mit der Polyvagaltheorie vertritt Steven Porges eine modifizierte Sicht des Autonomen Nervensystems(ANS).
Ganz grundlegend ist das ANS unterteilt in das Sympathische Nervensystem (SNS) und das Parasympathische Nervensystem (PNS). Die Aufgabe des SNS ist es, bei Bedarf zusätzliche Energie zur Verfügung zu stellen, damit der Organismus optimal auf die äußeren Anforderungen reagieren kann. Die Aufgabe des PNS hingegen ist es, die Homöostase, welche als dynamische Regulationsprozesse erachtet werden kann, aufrecht zu erhalten und die physiologische Stabilität zu fördern. Aufgrund des ANS verfügen Säugetiere, und damit auch Menschen, über drei zentrale defensive Verhaltensweisen, die in Momenten von Gefahr unwillkürlich ablaufen: Kampf, Flucht oder Erstarren. Porges postuliert, dass der wichtigste Nerv des PNS, der Vagusnerv, sich im Evolutionsprozess jedoch entscheidend differenziert hat und es daher wichtig ist, bei Säugetieren wichtige Funktionen der einzelnen Teilbereiche des Vagus zu unterscheiden. So wurden etwa die neuronalen Schaltkreise im Gehirn von Säugetieren, die ursprünglich nur mit Erstarrungsverhalten assoziiert waren, so modifiziert, dass sie, unter der Voraussetzung einer sicheren Umgebung, Immobilisation ohne Furcht zulassen und damit neben Verteidigung auch ermöglichen, sich prosozialen Aktivitäten zu widmen und heilsame Nähe zuzulassen, wodurch wiederum die Entwicklung komplexer sozialer Verhaltensweisen möglich wurde. Porges spricht in diesem Zusammenhang von Neurozeption, womit er die unwillkürliche, ohne Beteiligung des Bewusstseins ablaufende Einschätzung der aktuellen Situation auf ihre Gefährlichkeit und Sicherheit, aufgrund innerer und äußerer Anzeichen, bezeichnet. Diese Einschätzung entscheidet darüber, welche Strategie des ANS zum Einsatz kommt, oder anders ausgedrückt, welche neuronalen Erlebnisnetzwerke aktiviert werden/ welche Seiten in uns das Steuer übernehmen. Aufgrund dieser Erkenntnisse postuliert Porges, dass es bei Säugetieren möglich ist, durch soziale Interaktion mit einem wertschätzenden, Sicherheit vermittelnden Gegenüber eine Stabilisierung von physiologischen Erregungszuständen zu erreichen. Dies wiederum geht mit positiven Effekten auf die physiologische Selbstregulation, Heilung und gesundheitsfördernde Wachstumsprozesse einher.
(Porges (2010, 2016, 2019), Fereberger (2020))
Ich möchte aufbauend auf diese Erkenntnisse der Polyvagaltheorie eine Brücke schlagen zu Mechthild Reinhards erweitertem Modell des Menschen als Biopsychosoziale Gesamtsystem. Porges sagt mit seiner Polyvagaltheorie, dass ein als sicher und wohlgesonnen erlebtes Umfeld sich heilsam auf das körperliche und seelische Wohlergehen auswirkt. Mechthild Reinhard sagt, dass die Spielregeln der sozialen Umwelten in die wir hineingeboren werden auch wie, in uns hinein wandern und zu Aspekten unser Selbst werden und das es einen großen Unterschied macht an welchem Bezugsystem wir uns orientieren/aus welchem Bezugsrahmen wir Sinn und Orientierung beziehen. Sie bezieht sich auf den renommierten Neurowissenschaftler Gerald Hüther, der in seinem Buch „Die Macht der inneren Bilder“ (2015) folgende Aussagen macht: „Nachdem die Menschen erst einmal entdeckt hatten, dass sie selbst imstande waren, die Welt nach ihren Vorstellungen zu verändern und zu gestalten, war es nur noch eine Frage der Zeit, bis das alte Bild einer vom Schöpfergeist geschaffenen und getragenen Weltordnung durch ein neues ersetzt wurde, in dem sie selbst als Entdecker und Gestalter der Welt erschienen. (…) Aber eine auf den Menschen selbst als Schöpfer und Lenker zentrierte innere Vorstellungswelt hat ein entscheidendes, auch durch fortwährenden Erfolg nicht überwindbares Manko. Weil dieses Bild nicht über den Menschen hinausgeht und auf etwas verweist, das außerhalb dessen liegt, was er selbst ist und kann, bietet es ihm auch keine Möglichkeit, sich an irgendetwas anderem zu orientieren als an dem, was er bereits ist und was er bereits kann. (…) Es gibt keine Antwort auf die Frage, warum man so ist, wie man ist. Es sagt nicht, wie man sein Leben gestalten, wofür man es einsetzen soll, weshalb man überhaupt lebt. Ein inneres Bild, das keinen Sinn stiftet und das dem Menschen keinen Ort der Geborgenheit zeigt, ja noch nicht einmal einen Weg zu einem solchen Ort weist, eignet sich offenbar auch nicht als Orientierung stiftende Matrix (…)“
In der Bereitstellung eines solchen heilsamen, Sinn- & Orientierung-stiftenden Rahmens sieht Mechthild Reinhard, meiner Einschätzung nach, das hilfreich sein könnende Potential von Glaube und Spiritualität. Aber auch, wenn man mit den Begriffen Glaube, Religion oder Spiritualität nichts anfangen kann und/oder möchte wirbt sie dafür einen Bezugsrahmen anzunehmen, der über den Menschen als Schöpfer seiner Welt hinausgeht. Sie bietet ein Bild an, in dem beides integriert ist. Wenn man davon ausginge, dass es sowohl irgendetwas gibt außerhalb von einem selbst, das nicht von einem selbst in Gang gebracht und gehalten wird, und das ohne das eigene Zutun fortwährend passiert. Wie beispielsweise das Gras oder auch die Fingernägel von alleine wachsen, und auch die regenerativen Prozesse im Körper weitgehend von alleine wirken, wenn man so möchte, der lebendige Prozess des Lebens selbst. Etwas, dass über mich hinaus einen größeren Sinn- und Orientierungsrahmen bietet auf den ich vertrauen kann und dem ich mich auch ein Stück weit überlassen kann. Mich aber gleichzeitig auch als Mitgestalter meiner Welt betrachtet und mir somit die Möglichkeit und in gewisser Weise auch die Verpflichtung zuschreibt meine Welt verantwortungsvoll mitzugestalten.
Den eigenen Organismus, unser jeweils einzigartiges biologisches System sieht sie dabei als ein bisschen so etwas wie eine Schöpfung, die wir nicht selbst gemacht haben, wo wir aber gleichzeitig ein bisschen Mitgestalter sind. Dieser behält nach ihrem Denken auch eine Ahnung davon was gesund ist und was weniger gesund ist, ist Teil dieses Prozesses des lebendigen Lebens und kann uns damit als hilfreiches Referenzsystem dienen. Es gehe darum sich darüber klar zu werden, wie man im eigenen Körper leben wolle, ob man ihn eher versklave, unterdrücke, oder ob man zunehmend erkenne das der Körper mit uns in Kooperation sein möchte. (Reinhard (2020))
Quellenverzeichnis: